15. Juni 2012

Warum müssen wir sterben?

Der Tod ist ein Skandal, fand Elias Canetti und wollte es nicht hinnehmen, dass wir an diesem Punkt keine Wahl haben, sondern dass der Tod uns aufgezwungen wird. Bis jetzt ist das so. Bei 120 ist Schluss! Egal wie gesund wir leben. Ich finde das nicht ganz so skandalös. Wer von uns Highlander mit Christopher Lambert gesehen hat, weiß dass die Unsterblichkeit mindestens so eine Katastrophe wäre.

Ältere Klamath-Frau (Edward S. Curtis, 1924)

In der letzten Woche starb in Frankreich mit 114 Jahren die älteste Frau Europas. Die Zahl derer, die über Hundert Jahre alt werden, steigt jährlich um 5,5%, das heißt alle 13 Jahre verdoppelt sich die Anzahl derer, die älter als Hundert werden. Heißt das, wir werden unsterblich? Wohl eher nicht. Aber warum sterben wir überhaupt?

Diese Frage kann in verschiedener Weise verstanden werden. Z.B.: Warum versagen unsere Körper nach einer gewissen Anzahl von Jahren? Oder: Warum ist es für unsere Gattung und Gesellschaft so wichtig, dass wir sterben? Oder: Warum bin ich als Individuum notwendigerweise endlich? Philosophisch sind diese letzten beiden Fragen äußerst interessant. Wer will, kann die Frage auch theologisch stellen: Warum lässt uns Gott sterben? Erst einmal möchte ich aber von den Grundlagen herangehen, also biologisch gefragt.

Für die Erhaltung der Art reicht es, dass wir so lange leben, um Nachwuchs zu zeugen und dann dafür zu sorgen, dass dieser Nachwuchs wieder so alt wird, um Nachwuchs zu zeugen. Die Erhaltung der Art ist uns als Individuen zwar nicht vordergründig wichtig. In der Tat verbirgt sich hinter diesem Transfer Effekt eine evolutionäre Erklärung, warum wir Menschen relativ alt werden können, nein müssen: Wir investieren selbst nach der Geburt noch Jahre in unsere Kinder, damit diese irgendwann selbständig werden. Das erklärt freilich nicht, warum Schildkröten so alt werden. Im Grunde aber heißt das, wir müssten nicht unbedingt älter als dreißig werden. Vielleicht ist das ein Grund, warum wir alle an dieser Altersgrenze das erste mal eine Art Schock erleiden. Dass spätestens von da an körperlich alles abwärts geht, kann ich höchstpersönlich bezeugen. Es fängt an mit einem Zwacken im Rücken oder in der Hüfte, die Geheimratsecken werden größer, dann lassen die Augen nach, das Gehör. Irgendwann erkennt man sich im Spiegel selbst nicht mehr.

Der Sensenmann als Buddhist (Tumblr)
Im genetisch unaufgeräumten Winkel
Viele unserer Störungen und Krankheiten befallen uns erst nach dieser Grenze, also dann, wenn sie keinen Einfluss auf die Weitergabe unseres Erbguts mehr haben sollten. Da die Weitergabe des Erbguts vor dem Auftreten dieser Krankheiten und Gebrechen stattfindet, werden sie nicht ausselektiert. Sie sind für den Erhalt der Population unerheblich und somit das unordentliche Hinterzimmer in der menschlichen Evolution. Letztlich führen diese Störungen und Schwächungen zum Alterstod. Auf dem molekularen Level vermutet man hinter der sogenannten Hayflick-Grenze den Sensemann. Leonard Hayflick hat 1961 festgestellt, dass menschliche Zellen sich nur rund 40 bis 60 mal teilen können. Bei jeder Zellteilung werden die Telomere, die an den Enden der Chromosomen für deren Stabilität sorgen, verkürzt, bis irgendwann eine Teilung nicht mehr möglich ist. Nach dieser Theorie werden wir höchstens 120 Jahre alt. Diese Grenze hat mit 122 Jahren bisher nur die Französin Jeanne Calment durchbrochen. Wenn dieser Zelltod bei normalen Zellen nicht eintreten kann, kommt es zu Tumoren. Hat sich der Tod einfach als ein Mittel gegen Krebs bewährt? Aber auch vor dem Aus der Zellteilung verschleißen unsere einst reinen Zellen und kleine Muationen und Störungen nehmen zu. Hinzu kommt, dass auch Stammzellen sterben und wo Stammzellen knapp werden, können Organe nicht mehr regeneriert werden. Eine andere Theorie beschreibt, dass sich die Zellprodukte, die in unserer Jugend gut für die Reproduktion sind (z.B. Kalzium), negativ auf die Langlebigkeit auswirken und den Körper letztlich zerstören.

Fakt scheint aber zu sein, dass der Alterstod beim Menschen neu ist und so nicht vorgesehen war. Wenn es nach der Natur ginge, dann stürben wir um die dreißig an vereiterten Zähnen oder in den Klauen wilder Tiere. Und so ist es nun doch unklar, ob wir - biologisch gesprochen - überhaupt sterben müssen oder ob wir den Zelltod irgendwann abstellen können. Aber können wir das überhaupt wollen?

17 Kommentare:

  1. Man darf hier auch daran erinnern das Alzheimer oder Demenz laut jüngerer Forschung eine Standardprozedur ist. Diese ebend nur bei einigen zu früh einsetzt aber theoretisch jeden trifft wenn er alt genug wird. Der Alterstod ist aber nicht nur eine Menschheitserscheinung. Tiere mit Sozialverhalten und Herdentrieb machen das ähnlich. Sicher werden einige den Code der Altersschallgrenze knacken wollen. Ob das eine gute Idee ist wird sich zeigen. Interessant wäre wie Laute die über 100 Jahre werden Ihr Leben denn so finden. Ist es toll steinalt zu werden oder ist es eher depimierend.

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    1. Interessante letzte Frage. Ich glaube, dass ist individuell sehr verschieden und hängt auch davon ab, wie fit man im Alter ist. Am meisten dürfte es aber von der psychischen Konstitution abhängen. Manche sind mit 50 schon so vergnatzt, dass sie dem Leben nichts abgewinnen können, andere (man denke an Ernst Jünger oder Hans-Georg Gadamer) sind auch jenseits der 100 noch hell im Kopf und gut gelaunt.

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    2. Die Frage ist doch in welcher Gesellschaft man alt wird.
      In einer Gesellschaft, wo das Alter geehrt wird und man
      eingebunden in der Familie ist, hat das Altern durchaus
      mehr Lebensqualität und die Chance auf mehr Lebensjahre!

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    3. veröffentlicht als Waltraud aouida
      meine URL wurde nicht angenommen

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  2. ich habe angst vorm sterben... .

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    1. Hamma Geil!
      Besser als Kanninchen Babys zu Pferdelasagne zu machen.

      Pferdewurst ahoi!

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    2. Ich auch aber es wird irgendwann nall können könnte auch morgen sein oder so deswegen soll man das leben genießen mit seiner Familie

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  3. früher wurde daheim geboren und gestorben,es war also normal.

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  4. Meine Tante ist vor kurzem gestorben. Für sie war es eine Erlösung, für mich ein Albtraum. Ich hoffe nur, wenn es mal soweit ist (und ich will mindestens 86 werden), das es im Schlaf passiert und ohne Krankheit.

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    1. Das hoffe ich auch.

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    2. Das wollen die meisten, im Schlaf ohne Krankheit sterben. Schauen Sie mal auf die Todesanzeigen. Die Wahrheit ist: Leid und Todeskampf.

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  5. ich hab zwar keine angst vor dem tod aber ich frage mich wie es weiter geht;WERDEN WIR ALS TIER WIEDER GEBOREN und wie ihr wisst das tiere auch gejagt werden und davor hab ich angst das wir im neuen leben gejagt werden

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    1. Ich glaube, wir müssen uns gar keine Sorgen machen, denn wenn wir sterben, hören unsere Nervenzellen auf, ihre Funktion auszuüben und ohne diese Funktionen hören unsere kognitiven Vorgänge einfach und (nach einer Weile) unwiederbringlich auf. D.h. das Ich lebt weder weiter, noch wird es als irgendwer oder irgendwas wiedergeboren. Das kann man nicht einfach beweisen, aber alles andere würde unserem Verständnis von Wirklichkeit, Biologie, Physik und Chemie dermaßen widersprechen, dass eine Wiedergeburt als Wildschwein noch unser geringstes Problem wäre, denke ich.

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    2. Aber wir sind nicht mehr da und erinnern uns an gar nichtd

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  6. Wenn ich lebe ist der Tod nicht da. Wenn ich sterbe ist der Tod da. Was habe ich zu befürchten? Zu befürchten ist einzig und allein das Sterben selbst.

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    1. Nein vor dem Sterben muss man keine Angst haben. Krankheiten können schrecklich sein. Aber keine Angst, heut zu Tage muss keiner mehr leiden. Es gibt ausreichend Mittel dafür. Auf jeden Fall sollte man seinen Angehörigen möglichst zu Hause sterben lassen. Nicht noch den Notarzt rufen, wenn es zu Ende geht. Das bedeutet für den Sterbenden sehr viel Stress. Oft stirbt er noch auf den Weg ins Krankenhaus. Im Krankenhaus ist es laut und oft peitätslos. Glaubt mir: Ich schreibe aus eigener Erfahrung, habe gerade einen lieben Menschen verloren. Er ist zu Hause in seiner vertrauten Umgebung eingeschlafen und sah ganz friedlich aus.

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    2. Danke für deinen offenen Kommentar. Ich finde, dass klingt sehr menschlich, was du sagst.

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