13. Oktober 2011

Evolutionäre Aspekte unseres Entscheidungsverhaltens

Uralte Belohnungssysteme und die Neurobiologie unseres Verhaltens

Als Ergänzung zur Rezension seines Buches Sonntags Reden, montags Meeting hat der Autor Erich Feldmeier diesen Artikel geschrieben, der auf die evolutionären Wurzeln unseres Innovationsunvermögens eingeht. Aber lesen Sie selbst:

1) Abgrenzung
Menschen streben nach Einzigartigkeit und die ist in Zeiten der Globalisierung gar nicht so einfach zu erreichen, weil wir uns zunehmend mit den vielen anderen Menschen vergleichen. "Massenmedien mit ihrer Informationsflut... machen nämlich alle Teilnehmer am medialen Geschehen faktisch zu einer einzigen kompetitiven Gruppe. Man gerät als Medienkonsument - trotz besseren Wissens - in Wettbewerb" (1). Wer heute noch etwa ein wirklich bedeutender Bergsteiger sein will, muss man nicht nur alle 14 Achttausender besteigen, sondern da auch die steilen, sehr schwierigen und noch nicht begangene Routen gehen (2). Und wer kennt schon den zweiten Mann auf dem Mond? (3).

2) Belohnungssystem Hirn
David Pizzaro untersucht das Entscheidungsverhalten von Menschen in Abhängigkeit von den „visceralen affektiven Zuständen“ des Menschen, also den Basisbedürfnissen wie Hunger, Durst, Stress oder sexuelle Erregbarkeit. Aus solchen Untersuchungen wissen wir heute sehr genau, dass sich die Belohnungszentren im Gehirn für alle Vorgänge grundsätzlich ähneln. Hierzu gehören z.B. auch Gewinnspiele (4, 5). Selbst einfachste Dinge wie die Farbe Rot reicht aus, um das Belohnungszentrum des Gehirns und damit das Verhalten zu beeinflussen (6, 7, 8, 9). Vor allem aber sind Entscheidungen dank unserer Evolution immer zeit- und ortsnah. Unserem Hirn fehlt die Motivation für Nachhaltigkeit, denn es zählt vor allem das kurzfristiges Vorankommen, für das unser Belohnungssystem Hirn ausgelegt ist. Wir sollten dabei beachten, dass dies evolutionär gesehen über viele Tausend Jahre sehr vernünftig war. Langfristige, planerische Intelligenz war gegenüber dem Säbelzahntiger vollkommen unwichtig.

3) Autopilot Hirn - Entlastung durch Energiesparmodus
Jonathan Greene weist darauf hin, dass das Gehirn quasi automatisch in den AUTOPILOT-Modus geht um Ressourcen zu sparen (10). In diesem Modus ist die Wahrnehmungstiefe drastisch reduziert. Auch Fichter betont, dass das Gehirn im Eigeninteresse geizig handelt. Der sogenannte kognitive Geiz ist somit ein normaler Vorgang, der sich aus der Evolution des Gehirns ergibt (11). Diesem Geiz ist auch zu verdanken, dass wir täglich tausende Entscheidungen vollkommen unbewusst treffen und auf diese Art effizient große Teile unseres Alltags per Autopilot meistern. Auch weitere Neurobiologen wie beispielsweise Gerald Hüther und Ernst Pöppel betonen die etwa 20.000 Entscheidungen pro Tag, die nur unbewusst gemeistert werden können.

Wenn wir an Innovationen denken oder die großen Entscheidungen in unserem Alltag, die andere Menschen betreffen (Führung, Kommunikation) oder gar das Überleben der Menschheit im Ökosystem Erde, dann ergeben sich aus den Zusammenhängen Abgrenzung, Belohnungssystem, kognitiver Geiz und Autopilot wichtige Konsequenzen: Unser Gehirn belohnt uns in der Regel nicht für Kooperation, Innovationen und Veränderungen. Es sträubt sich dagegen und das dient der Innovation oder langfristigen Problemlösung gar nicht.

Arthur Koestler sagt: "Das durchschnittliche Gehirn ist von Natur aus faul und tendiert dazu, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Die mentale Welt des einfachen Mannes besteht aus Überzeugungen, die er akzeptiert hat, ohne sie zu hinterfragen, und an denen er sehr hängt; er ist instinktiv feindselig gegenüber allem, was die etablierte Ordnung seiner vertrauten Welt umstürzen würde. Eine neue Idee, die inkonsistent mit einigen seiner Überzeugungen ist, bedeutet die Notwendigkeit, seine Gedanken neu zu ordnen; und dieser Prozess ist arbeitsintensiv und erfordert eine schmerzhafte Aufwendung an Gehirn-Energie" (12).

Auch die Aspekte Gender (Gleichberechtigung), Diversity und Querdenken spielen zwar in der heutigen, dynamisch sich wandelnden Gesellschaft eine große Rolle; in Organisationen aller Art kommen sie jedoch aus den genannten Gründen oft nur schleppend voran. Wir wissen z.B. auch aufgrund des Herdenverhaltens in der sogenannten Finanzkrise, dass es eine Art Lebensversicherung moderner Gesellschaften darstellt, wenn nicht alle in dieselbe Richtung laufen und sich auf die gleiche Art und Weise verhalten. Dennoch sind die dafür nötigen Unterschiede und Widerstände für die Teams und Individuen schwer auszuhalten, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes anstrengend sind. Deshalb umgeben wir uns, v.a. in stressigen Zeiten immer wieder gerne mit Gleichgesinnten, die uns wenig Energie kosten - obwohl wir wissen, dass es verkehrt ist. Ein fast schon lustiger Hinweis auf die unbewussten Schwierigkeiten mit Diversity sind die unterschiedlichen Dialekte, die wir im unbestechlichen Alltag oft kaum ertragen (13, 14). Ein evolutionär bemerkenswerter Faktor insofern, als dass Dialekte z.B. auch bei Vögeln zu Ab- und Ausgrenzung führen (15).

Fazit: Die vererbte Steinzeit im Hirn
Um zu verstehen, wie hart verdrahtet in unserem Gehirn der Drang voranzukommen ist (im Gegensatz zu etwa Team-Geist oder Kooperation), können wir die Ergebnisse eines neuro-psychologischen Versuchs mit dem harmlosen Spiel Schere, Stein, Papier betrachten: "Obwohl es keinen hochdotierten Preis zu gewinnen gab und obwohl im Falle einer Niederlage keine Bestrafung drohte, waren nahezu ALLE höher entwickelten Gehirnareale an der Verarbeitung des Spielergebnisses beteiligt" (4).

Betrachten wir die hier aufgeführten Aspekte wie Abgrenzung, Belohnungssystem und kognitiver Geiz, dann scheint es so zu sein, dass der Schlüssel für nahezu alle unsere GROSSEN Probleme in der Evolution, v.a. der des Gehirns, liegt. Um als Menschheit voranzukommen und die Umstände für Innovation und Problemlösung zu schaffen, hat die neurobiologische Forschung erste Priorität.


Erich Feldmeier hat unter anderem das Institut für Querdenkertum gegründet, aber auch die Wohnungsbaugenossenschaft Jung und Alt e.G. und ist als Lehrbeauftragter und Berater tätig.

Anmerkungen
  1. http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/Massenmedien_furniturefromhome_com
  2. http://ed.iiQii.de/gallery/Die-iiQii-Philosophie/JonKrakauer_outsideonline_com
  3. http://ed.iiQii.de/gallery/Science-TheOnlyNews/ChristianScheier_decode_online_de
  4. http://ed.iiQii.de/gallery/Science-TheOnlyNews/TimVickery_psy_vanderbilt_edu
  5. http://ed.iiQii.de/gallery/Science-TheOnlyNews/DavidPizarro_edge_org
  6. http://ed.iiQii.de/gallery/Querdenkerinnen/TshirtRose_chiennesdegarde_com
  7. http://ed.iiQii.de/gallery/Querdenkerinnen/RobinSage_techfieber_de
  8. http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/traffic_jam_texasfreeway_com
  9. http://ed.iiQii.de/gallery/Querdenkerinnen/DanielaNiesta_rochester_edu
  10. http://ed.iiQii.de/gallery/Science-TheOnlyNews/JoshuaDGreene_edge_org
  11. http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/KlassischeVerirrung_konkordanz_de
  12. http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/ArthurKoestler_kuensterkolonie_berlin_de (aus C. Deckert: Anleitung zum Uninnovativsein)
  13. http://ed.iiQii.de/gallery/KeyPerformance/AlfredLameli_ifl_leipzig_de
  14. http://ed.iiQii.de/gallery/KeyPerformance/ShiriLev_Ari_uchicago_edu
  15. http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/White_crowned_SparrowDachsAmmer_wikimedia_org
Edge.org ist eine Stiftung, die eine Brücke zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften schlägt. Die Serie "Neurobiologische Ethik" ist eine der spektakulärsten Veröffentlichungen, die je auf edge.org erschienen ist. Ethisches Verhalten wird dabei neurobiologisch und neurophysiologisch untersucht.

6 Kommentare:

  1. Brillant erkannt, beschrieben, verbreitet! Da wünscht man sich eine breite intelligente Leserschaft, die versteht ;-)

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  2. Anmerkung 4 scheint mir besonders treffend und wichtig für das Verständnis des neurobiologischen Entscheidungsverhaltens zu sein.

    Denn eins ist klar: Wenn sich unser Gehirn mit etwas beschäftigt, dann ist kein Platz und kein Raum für weitere Dinge; Multitasking wurde von vielen Neurobiologen als Mythos entlarvt.

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  3. und hier gleich noch ein Artikel: SUVs aus spiel-theoretischer Sicht:

    http://www.nachhaltigwirtschaften.net/scripts/basics/eco-world/wirtschaft/basics.prg?session=5f77f7314e9710d4_312132&a_no=4948

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  4. Interessantes Thema und ich fühle mich total ertappt als Affe mit Führerschein. Ich hab zwar keinen SUV, aber fand sie immer total anziehend. Bei mir war es wirklich nur das ganz dünne Sediment Rationalität, dass sich mit der Zeit hier und da über mein evolutionäres Urgestein gelegt hat. Ansonsten führe ich auch mit dem Jeep zum Biomarkt. Es fällt mir schwer zu widerstehen.

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  5. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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