William Styrons Buch Darkness Visible (Sturz in die Nacht: Die Geschichte einer Depression) ist ein autobiographischer bis wissenschaftlicher Aufsatz über Depression. Es ist die fesselnde Erzählung von einem, der in die tiefsten Abgründe seiner Seele hinabstieg und der wiederkehrte, um davon zu erzählen. Mit grausamer Genauigkeit berichtet er vom schlimmen auf und ab des täglichen und hoffnungslosen Höllenritts, von der Unsinnigkeit des vegetierens. Besonders die Unfähigkeit, sich den normalsten Tätigkeiten, Gesprächen oder auch nur dem Licht des Tages auszusetzen, ist erschütternd. Freunde, Familie, Kollegen - sie sind da, aber dringen nicht durch. Sinnzusammenhänge gehen verloren, man muss da raus, bevor es einen zerstört. Styron hat es geschafft.
Styrons Sprache ist so literarisch, wie es sich für einen Pulitzer Prize-Träger gehört. Als Poet kommt er nicht umhin, gegen den Begriff Depression zu protestieren: "Depression, wie die meisten wissen werden, hieß zuerst 'Melancholie', ein Wort, dass im Englischen bereits im Jahr 1303 auftaucht und immer wieder auch bei Chaucer vorkommt, der sich in seinem Gebrauch offenbar den pathologischen Nuancen bewusst war. 'Melancholie' scheint immer noch ein viel zutreffenderes und ausdrucksstarkes Wort für die schwärzeren Formen der Krankheit zu sein, doch wurde es überwältigt von einem Substantiv mit fader Tonalität, ohne jede gebieterische Präsenz, ohne Unterschied gebraucht für eine ökonomische Krise oder geologische Unebenheiten, ein wahrer Kümmerling für eine so bedrohliche Krankheit." (Übersetzt nach William Styron, Darkness Visible, London 2004, S. 36)
Styron meint, dass die Harmlosigkeit des Wortes Depression, an der John Hopkins Medical School vom Schweizer Adolf Meyer geprägt, mit daran Schuld sein könnte, dass die Krankheit lange Zeit so wenig Beachtung fand. Styron beklagt auch, dass das Wort "Brainstorm" bereits für schnöde Ideenentwicklung vergriffen ist, denn es passe hervorragend, auf das, was er erlebte, wenn seine Stimmungstiefs außer Kontrolle gerieten. Das Wort Depression scheine in den Menschen ein Schulterzucken hervorzurufen: "Na und, wir haben doch alle mal einen schlechten Tag."
Styron beschreibt seinen ganz persönlichen Kampf gegen die Krankheit, die Auf und Abs, das (Un-)Verständnis der Freunde, die Hoffnung und die Stürze in die Nacht ohne Worte. Das ist die Leistung Styrons, dass er eine Sprache findet für dieses unaussprechlichste aller Grauen.
Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein.
26. September 2011
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Top 5 der meist gelesenen Artikel dieser Woche
-
Die schönsten Arten, die Menschheit zu verachten "Ich glaube an die Gleichheit und die Einigkeit der gesamten Menschheit. Wir si...
-
Der folgende Artikel ist ein sehr persönlicher Bericht zu meiner schizoiden Disposition. Vielleicht hilft er anderen Betroffenen sich selbs...
-
Was wollen reaktionäre Populisten letztlich eigentlich erreichen? In seinem Buch „Why Liberalism Failed“ aus dem Jahr 2018 argumentiert der...
-
Das letzte Buch des Atheisten und Philosophen Alain de Botton mit dem Titel Religion für Atheisten: Vom Nutzen der Religion für das Leben l...
-
Ich bin ein Melancholiker. Bei verschiedenen Persönlichkeitstests, die ich über die letzten Jahre gemacht habe, traten die mit dem Melanchol...
Das klingt ohne Frage verlockend, ist aber wohl eher etwas für Nicht-Depressive. Mich würde die Lektüre sofort herunterziehen.
AntwortenLöschenGleiches gilt für den Film Melancholie, den ich zu gerne sehen würde.
Aber man muss schon über die nötige Distanz verfügen.
Was ich zur Zeit mit großer Begeisterung lese ist:
Sie haben es doch gut gemeint. Depression und Familie von Josef Giger-Bütler.
Der erste Psychotherapeut von dem ich das Gefühl habe, er versteht eine Depression wirklich und kann darüber hinaus noch die Ursachen aufdecken.
In der Kurzbeschreibung des von Jan genannten Buchs 'Sie haben es doch gut gemeint. Depression und Familie' steht "(...) Kinder, die versucht haben, es allen Recht zu machen außer sich selbst." Dazu passt vielleicht die Lektüre über das Kommunikationsmuster 'Doublebind' in Familien, das impliziert, es allen recht machen zu wollen, was aber zum Scheitern verurteilt ist, dass egal was man macht, es scheinbar dann doch das Falsche ist. Bekanntes Dilemma? -> "Wege aus der Zwickmühle. Doublebinds verstehen und lösen" von Christiane und Alexander Sautter
AntwortenLöschenIch glaube, ich traue mich nicht, das Buch zu lesen. Was mir aber zum Artikel einfällt: "Melancholie" ist für mich was anderes, etwas gar nicht depressives. Eine gewisse Liebe für schmerzhafte Gefühle, die es erlaubt, diese zu durchleben, eben ohne sich in ihnen zu verlieren. Bis es wieder gut ist. Depression als Krankheit, die in einer westlichen Welt leicht zu bekommen ist, verstehen nur die wenigsten. Bis sie eine haben. Vielleicht ist dieses Buch deswegen wichtig.
AntwortenLöschen