6. Juli 2011

Grund zum Optimismus? Zum Beispiel Gewalt

Eine Sache die mich immer wieder umtreibt, ist die Frage, ob es auf dieser Welt Grund zum Optimismus gibt. Scheinbar befindet sich die Welt doch in einem Abwärtstaumel. Alles geht immer schneller: Bevölkerungswachstum, Krisenzyklen, Artensterben, Überfischung, Verkehrskollaps. Angeblich nimmt der Stress auf Arbeit genauso zu wie die Toten durch Übergewicht und Kreislaufkrankheiten. Menschen hungern, leben in Höllen zwischen Dürre und Fluten und bekriegen sich. Dann noch EHEC und Ebola.

Paradoxerweise nimmt die Lebensqualität aber immer weiter zu. Gemessen an meiner Familie, die im letzten Jahrhundert durch Kriege und Diktaturen gegangen ist, geht es mir eindeutig am besten. Von deren mutmaßlichen Vorfahren ganz zu schweigen. Wir Menschen leben länger und gesünder und das bei weitem nicht nur im Westen. Unsere unmittelbare Umwelt wird immer sauberer: verkehrsberuhigte Innenstädte, Grünflächen, Biosphärenreservate, überall wird was unter Unesco-Schutz gestellt, Öl-Preise steigen und treiben eine saubere und nachhaltige Energiewende voran (samt einem kleinen fossilen Rückschlag durch den Deutschen Atom-Ausstieg). Die Wälder werden gesünder, die Luft besser, wir schützen bedrohte Arten, sie kehren sogar in unsere Wälder zurück. Es entstehen Bewegungen wie Minimalismus in unseren jungen privilegierten Bevölkerungsteilen. Der Westen entdeckt die Rettung der Welt als das größte Ziel von Politik und Wirtschaft.

Steven Pinker hat in der Rede "Mythos Gewalt" an anderer Stelle mit dem Glauben aufgeräumt, dass immer alles schlechter würde. Warum sollten wir die Japaner überfallen? Die bauen doch meinen Mini-Van! Es ist eine tolle Rede, randvoll mit harten Fakten (hier mit deutschen Untertiteln), die mich ein wenig mit unserer heutigen Welt versöhnt:

3 Kommentare:

  1. Ich möchte natürlich nicht den Pessimisten heraushängen lassen und ich empfinde es auch als höchst erfrischend, daß mal jemand positive Entwicklungen hervorhebt,
    aber man muß sich schon die Frage stellen, was man unter Gewalt insgesamt subsumiert. In der Tat ist es so, daß wir einen Rückgang von Kriegen als zwischenstaatlichen Konflikten haben. Gleichzeit steigen aber Konfliktformen, die sich nicht unter den Kriegsbegriff subsumieren lassen.
    Man spricht in diesem Zusammenhang von einer Privatisierung der Gewalt mit der auch ein Rückgang des staatlichen Gewaltmonopols verbunden ist.
    Gewalt wird von privaten Akteure wie Terroristen oder Angehörigen privater Sicherheitsfirmen, teils in offenen Konflikten wie in Afghanistan und im Irak, teils weniger offen, wenn es um internationale Firmen und ihre Sicherheitskräfte bei der "Bewachung" von Rohstoffquellen in Afrika, ausgeübt.

    Dann bleibt auch nicht die Frage nach einem weniger offensichtlichen Gewaltbegriff, der nicht unmittelbarer körperlicher Zwang ist, sondern Gewalt in Form von Unterdrückung - vielleicht sogar im Arbeitsleben.

    Ich würde die Bilanz also nicht so vorschnell ziehen.
    Gleichwohl freut es mich wirklich, daß jemand mal positive Effekte hervorhebt, das hört man ja viel zu selten...

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  2. Hallo Jan, das sind gute Punkte. Differenzierung ist immer wichtig und kommt bei Blog-Artikeln oft zu kurz.

    Was mich beeindruckte, war zum einen die Fülle an Fakten, die nahezulegen scheint, dass wir immer weniger Gewaltbereit zu sein scheinen und die rapide abgenommene statistische Wahrscheinlichkeit (weltweit), gewaltsam ums Leben zu kommen.

    Zum anderen kommt mir alles gelegen, was den so bequemen Kurzschluss "Früher war alles besser" widerlegt.

    Keinesfalls ist jetzt (oder irgendwann) die Zeit, die Hände in den Schoß zu legen und zu hoffen, dass alles gut wird. Nur braucht es auch positive Inspiration, damit man den Mut am Weiterkämpfen nicht verliert.

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  3. Ein guter Beitrag, der zum Nachdenken anregt. Ich denke, es sind die Extreme, die uns so aufwühlen und zwischen Pessimismus und Optimismus schwanken lassen. Und diese Extreme zwischen Menschenrechten, Ökologie und Nachhaltigkeit und klafften auf der Welt gefühlt noch nie weiter auseinander als heute. Auf der einen Seite ist ein großes Wissen da, eine Menge an kognitiver Intelligenz auf viele Köpfe verteilt, auf der anderen Seite - trotz dieses Wissens - Gier nach Geld und Macht, Verantwortungslosigkeit von Menschen, die es dank Technik und Wissen eigentlich besser wissen müssten, die Ausbeutung von Mensch und Umwelt schreitet hochtechnisiert voran.

    Trotzdem bietet der globale Zusammenschluss - real und virtuell - die Chance, Informationen auszutauschen in einem öffentlichen Raum - wieder real und virtuell -, auf dass sich Menschen zusammentun und sich gegen "Gewalt und Unterdrückung", wie Jan es schrieb, formieren. Ein gutes Beispiel dafür ist die "Occupy-Wallstreet-Bewegung", die in Windeseile nach Frankfurt überschwappte - faszinierend, oder?

    Meine Lieblingsbücher in diesem Zusammenhang: "Macht und Gewalt" von Hannah Arendt (die muss man einfach gelesen haben) und "Gewalt und Vertrauen" von Jan Philipp Reemstma (2009 erschienen) Letzteres beleuchtet auch die Geschichte der Gewalt im europäischen Raum und wie sich unsere Wahrnehmung verschoben hat, wann Gewalt akzeptabel/tolerierbar ist, wann nicht und wie es zu dem Tabu von Gewalt in unserer Gesellschaft kam - eine spannende soziologische Betrachtung mit Ausblick.

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